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Eine Polizei demokratisiert sich selbst
Diskussionskommando Berlin
Der Schah von Persien in Berlin
Bei fast allen Demonstrationen in diesen
Jahren nach 1967 kam es zu gewalttäti-
gen Ausschreitungen. Der Besuch des
Schah von Persien und der Polizeieinsatz
vor der "Deutschen Oper" waren zwei
Schlüsselerlebnisse für beide Seiten. Die
Verhältnisse in Persien wurden dazu be-
nutzt, das Gewaltmonopol des Staates in
Frage zu stellen. Gewalt wurde von die-
sem 2. Juni 1967 an als legitimes Mittel
gesehen, sich gegen die vermeintliche Unterdrückung durch den Staat zu wehren.
"Macht kaputt, was Euch kaputt macht!" wurde zum Leitmotiv der "Revolutionären
Gruppen".
Der Befehl zur Räumung durch den damaligen Kommandeur der Schutzpolizei,
Werner und des Polizeipräsidenten Duensing, mit Billigung oder sogar auf Verlangen
des amtierenden Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz, wurde in den Medien
heftig kritisiert. Filmaufnahmen zeigen lautstark protestierende Demonstranten, aber
keine Gewalttätigkeiten. Ich war an der Oper eingesetzt und in meiner Erinnerung
flogen vereinzelt wenige Knallkörper und auch Gegenstände. Die anschließende Räu-
mung stand in keinem Verhältnis zur Lage vor Ort. Viel später wurde der wirkliche
Grund von Heinrich Albertz genannt: Die Verantwortlichen wollten sich vor dem Be-
sucherpaar aus Persien nicht blamieren und dem Schah den Anblick von Protest-
plakaten ersparen. Die Benutzung eines Nebeneingangs wurde empört zurückge-
wiesen. Die “Leberwurst-Taktik” (in die Mitte reinpieken und nach beiden Seiten
ausdrücken) des Polizeipräsidenten Duensing wurde verworfen. Stattdessen wurde
direkt gegenüber der Oper frontal geräumt.
In der Krummestraße wurde in dieser Nacht der Student Benno Ohnesorg von Krimi-
nal Hauptmeister Kurras in vermeintlicher Notwehr erschossen. Heute wissen wir, dss
er Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR war. Er erfreute sich der vollen Pension
seines westlichen Dienstherrn, bis zu seinem Tod.
Die Konfrontation wurde dadurch weiter verschärft. Berichte in den Medien förderten
die Polarisation in der Stadt, anstatt die Situation zu entschärfen. Die Springerpresse
war einseitig gegen die Studentenbewegung, Stern und Der Spiegel verurteilten
pauschal die Einsätze der Polizei. Politik und Medien nahmen es mit der Wahrheit
nicht ganz so genau, Stimmungsmache und Auflage waren angesagt.
Die Mehrheit der Berliner war gegen die "langhaarigen Randalierer", die lieber arbei-
ten gehen sollten.
Der offizielle Polizeifilm zum 2. Juni endet mit
der Feststellung: “Zurück blieben ein kaputter
Plakatzaun, viel Unrat und ein verletzter De-
monstrant”. Ein toter Student paßte nicht ins
Konzept.
Gesellschftliche Konflikte und deren Folgen
wurden auf dem Rücken der Polizeibeamten
ausgetragen. Aber gerade sie war auf Einsätze
bei gewalttätigen Demonstrationen nicht ent-
sprechend vorbereitet. Die Bereitschaftspolizei
war eine Berufsarmee, die als geschlossene
Einheit ausrückte und militärisch geführt wur-
de. Flexibilität war von ihrer Führung nicht zu
erwarten. Sie kannte nur die Wiederherstellung
der "Öffentlichen Sicherheit und Ordnung"
durch staatliche Gewalt, notfalls durch Räu-
mung mit Waffen (Schlagstock). Dass dies
leider manchmal unumgänglich war, sei hier
unbestritten. Über Alternativen sprach noch
niemand, man sprach überhaupt nicht. Der
"sprechende Polizist" war bei geschlossenen
Einsätzen noch nicht sanktioniert. Das Diskus-
sionskommando gab es noch nicht einmal als
Idee.
Eine Gewaltspirale wurde in Gang gesetzt. Eine
Anti-Vietnam-Demo vor dem Amerika Haus
mußte nicht erst eskalieren, sie fing schon
gewalttätig an. Steine, Holzlatten und Stahl-
kugeln waren die “Argumente” der gewalttä-
tigen Demonstranten. Die Polizei antwortete mit
Wasserwerfern, Schlagstock und Reiterstaffel.
Die materielle Ausrüstung war völlig ungeei-
gnet. Normale Dienstmütze oder Tschako waren
die einzigen Kopfbedeckungen. Dadurch konnte
es zu schweren Kopfverletzungen kommen.
Moderne Schutzhelme wurden erst während des
Einsatzes am Tegeler Weg aus West-Deutsch-
land eingeflogen. Meinen erhielt ich, als der
Einsatz längst gelaufen war.