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Eine Polizei demokratisiert sich selbst

Diskussionskommando Berlin

Deeskalation

Die ernsthafte Beschäftigung mit den politischen und gesellschaftlichen Themen der Studentenbewegung löste anfangs zwie- spältige Gefühle aus. Als Nachkriegskind in West-Berlin geboren, die Erlebnisse der Mut- ter beim Einmarsch der Russen im Kopf, Mauer und Stacheldraht täglich vor Augen, da wird es schwierig, Verständnis für Sympa- tisanten sozialistischer oder kommunistischer Ideen zue entwickeln. Den Historisch-Dialek- tischen Materialismus kannte ich aus dem Geschichtsunterricht, als historisch-philoso- phische Betrachtung. In Referaten und Gesprächen mit „Männern von der Uni“ lernte ich die Tole- ranz und die Bereitschaft über deren Thesen nachzudenken, ohne die geballte Faust in der Hosentasche. Hans-Ulrich Luther, Prof. Siegfried Schubenz, der eine Sozialist, bekennender Kommunist der andere, haben großen Anteil da- ran. Die monatlichen Gesprächsrunden im Hause unseres Polizeipfarrers Klaus Harms waren ein weiterer Mosaikstein in dieser Entwicklung. Bei Demonstrations-Einsätzen waren wir schnell von Teilnehmern umringt, so dass wir entweder allein oder zu zweit standen. Die ein- oder zweitausend Teilnehmer waren nun keine Masse Menschen mehr, die schnell zum Störer durch Randale werden konnte, sondern es war unser direktes Gegenüber. Zwei bis drei Menschen, mit denen jeder von uns sprach und die mit uns sprachen. Die Konfrontation war weg, wir waren keine Bedrohung für sie. Ohne Waffen, mit offener Uniformjacke, um dies auch zu zeigen, ohne Schutzhelm und in jämmerlicher Unterzahl. Es entwickelte sich ein Gefühl der gegenseitigen Ehrlichkeit und Offenheit. Wir hatten eines gemeinsam, unser Engagement in dieser Gesellschaft etwas zu verändern. Jeder in seinem Bereich und von seinem Standpunkt aus.

68er Revolte

denkmal 2. juni
Aus dem babylonischen „Und sie verstanden sich nicht mehr“ wurde ein „Laßt uns gemeinsam darüber reden“. Diese Demonstrationen und Kundgebungen liefen ohne nennenswerte Gewalt ab. Die Gewaltfrei- heit war unser Ziel, war unser Erfolg! Der Auftrag war nicht, Demos zu verhindern oder die APO zu bekämp- fen, sondern Gewalt zu verhindern. Zahlreiche Beschwerden von Polizeiführern, dass wir, manchmal die Mütze in der Hand, die Jacke offen, keinen korrekten Dienstanzug tragen würden, zeigen, dass ein Denkprozeß nicht immer bei allen ankommt und auch lange dauern kann. Das gemeinsame Rau- chen einer Zigarette wurde dann schon als unzuläs- sige Verbrüderung ausgelegt. Gemeint war aber wohl Verrat! Auch die Zeitungen in der Stadt bedienten sich nun eines moderateren Tones in ihrer Berichterstattung. Das Attentat auf Rudi Dutschke hatte wohl doch ei- nige zur Besinnung gebracht. Die Mehrheit der Be- völkerung tat sich schwerer. Der „Mann auf der Stra- ße“ blieb weitgehend unberührt von diesen Prozes- sen. Es kam weiter zu tätlichen Übergriffen und üblen Beschimpfungen. Auch der Demokratisierungsprozess innerhalb der Polizei ging nur langsam voran. In einem Polizeiforum im Internet zeigen die Kom- mentare zu Demonstrationen, dass er in Teilen der Polizei auch wieder verloren gegangen ist.